(1.7. 1940 – 09.09.2018)

Günter Praedicow

Günter Praedicow wurde am 1. Juli 1940 in Aue im Erzgebirge geboren. Seine Eltern gehörten seit Generationen einer Optikerfamilie an und erwarteten, dass ihr Sohn die familiäre Tradition fortsetzt. Entsprechend erlernte der junge Günter den Beruf des Werkzeugmachers und machte danach an der Abendschule sein Abitur. Seine Leidenschaft gehörte aber weniger der Optik, als vielmehr der Zoologie.

Folgerichtig reiste Günter im Alter von 22 Jahren mit dem Motorrad nach Erfurt, stellte sich am Thüringer Zoopark vor, bewarb sich erfolgreich um eine Stelle und nahm seine Arbeit als Hilfstierpfleger am 16. Januar 1963 auf. Engagiert und wissbegierig wie er war, machte er 1966 extern seinen Facharbeiterbrief zum Zootierpfleger. Als zoologischer Allrounder stieg er schnell zum Reviertierpfleger auf und betreute Füchse, Wölfe und Kängurus, wurde dann Futtermeister, Springer und schließlich Chef der Elefanten. 1971 begann er seine Ausbildung zum Zootiermeister. Der Thüringer Zoopark und überhaupt die Welt der Zoologischen Gärten blieb lebenslang zentraler Inhalt und Angelpunkt in Günter Praedicows Leben. Sein immenses zoologisches Fachwissen und seine herausragende Erfahrung rund um die Haltung von Tieren, aber auch über deren Biologie und Vielfalt weit über die Herpetologie hinaus waren sowohl für Fachkollegen als auch Laien immer wieder beeindruckend.

Ab 1980 ernannte man Günter Praedicow zum stellvertretenden Zooinspektor. Er war nun persönlicher Mitarbeiter des Direktors und blieb bis zu seiner Verrentung im Jahr 2005 die «Gute Seele» des Zooparks, wobei seine hohe Akzeptanz und Beliebtheit bei den Kollegen in Konfliktfällen sehr hilfreich war. Günter übernahm insbesondere auch die Öffentlichkeitsarbeit und führte regelmäßig Gruppen durch den Zoopark. Seine Stärke war, dass er auf die unterschiedlichen Gruppen – Fachleute, Erwachsene oder Kinder – ganz spezifisch eingehen konnte. Als Rentner war er dem Zoopark Erfurt und dem Verein der Zooparkfreunde weiter verbunden. Immer interessiert am Tagesgeschehen und der Entwicklung des Zoos, übernahm Günter auch im Ruhestand Führungen durch den Park. Auch organisierte er die Arbeit des Fördervereins des Zoos, so z.B. die regelmäßigen Zoopark-Vorträge, die nicht ganz zufällig oft herpetologischen Themen gewidmet waren.

Günter Praedicow Hans Triet
Die Freunde Hans Triet und Günter Praedicow auf ihrer letzten gemeinsamen Überseereise: Namibia 2006. (Foto: Andreas Meyer)

Denn bei allem Interesse für die Gesamtheit der Fauna, galt doch Günter Praedicows Vorliebe klar den Amphibien und Reptilien, und ganz besonders den Schildkröten. Darunter waren es vorab die Scharnierschildkröten, denen er sich widmete. So hielt und züchtete er lange Jahre Cuora amboienensis, C. flavomarginata und C. trifasciata, aber auch viele andere Schildkrötenarten. Als Leiter der Arbeitsgemeinschaft Terrarienkunde im Kulturbund war er das rührige Zentrum einer aktiven Gruppe, die u.a. auch zwei größere Ausstellungen organisierte. So wurden 1978 im Pionierhaus am Ringelberg alle heimischen Amphibien und Reptilien (mit Ausnahme der Glattnatter) lebend präsentiert. Gemeinsam mit Rudi Toll holte Günter z.B. Fadenmolche aus dem Harz mit dem Motorrad nach Erfurt.

Auch hier endeten sein Interesse und seine Begeisterung aber nicht an der Terrarienscheibe, sondern galten gleichermassen der Feldherpetologie und der Natur im Allgemeinen. Wer mit Günter Praedicow auf Exkursionen unterwegs war, wird sich lebhaft an seine unverwechsel­baren Begeisterungsstürme erinnern, die sich beispielsweise mit einem schrillen Aufschrei «Laaaaubfröscheeeeee!» manifestierten, sobald irgendwo ein Hyla anfing zu rufen, oder aber auch in stiller, fast ehrfürchtiger Verblüffung und Bewunderung, wenn er eine noch nie gesehene oder seltene Art im Gelände aufgespürt und vor sich hatte:  «…Mensch, das gloob ich jetzt nich…». Er liebte es, kurzzeitig zu Fotozwecken gefangene Tiere auch mal in die Hand zu nehmen und aus allernächster Nähe zu bewundern. Er machte sich und seinen Exkursionsgefährten in solchen Momenten immer wieder bewusst, wie einzigartig solche Erlebnisse sind, und er ertrug dabei auch tapfer die oft heftigen, situationsbedingten Bisse von wehrhaften Zornnattern. Giftschlangen gegenüber zeigt er immer Interesse, gleichzeitig übte er aber auch kritische Distanz. Bei Funden von Schildkröten im Gelände hingegen waren seine Freude und Dokumentationslust kaum zu bremsen. Erst wenn die Tiere aus allen nur möglichen Perspektiven fotografiert waren und alle morphologischen Merkmale überprüft, gab er sich zufrieden und setzte die Schildkröte respektvoll zurück in ihren Lebensraum.

Günter Praedicow mit zwei Testudo hermanni
Günter Praedicow mit zwei Testudo hermanni an der dalmatinischen Küste, 1994. Das rot-weiss gestreifte T-Shirt war Günters „Markenzeichen“ auf seinen vielen Reisen. (Foto: Andreas Meyer)

Bei Besuchen in Dresden und Radebeul genoss Günter Praedicow gern die Gastfreundschaft von Fritz-Jürgen Obst und anderen langjährigen Freunden. Es wurden naturkundliche Einrichtungen, Ausstellungen und Museen besucht, durch die Dresdner Altstadt geschlendert, Ausflüge nach Meißen, in das Erzgebirge oder nach Pillnitz gemacht, und es wurde gut und reichlich gegessen. Die Themen der Konversation waren immer sehr vielfältig und lange nicht auf die Herpetologie beschränkt. So unterhielt man sich gerne über geschichtliche und kulturelle Ereignisse, historische Literatur, bewunderte und tauschte Briefmarken und Postkarten mit Amphibien- oder Reptilienmotiven – eine kleine Leidenschaft von Günter, die in einer ansehnlichen Sammlung resultierte.

Ein wichtiger Pfeiler in Günter Praedicows Leben war die tiefe Freundschaft mit Hans Triet, dem langjährigen Tierpfleger und Chef des Vivariums des Berner Tierparks Dählhölzli. Bereits in den 1970er-Jahren hatten die beiden engagierten Zooleute brieflich und telefonisch einen regen Austausch, und es folgten noch im gleichen Jahrzehnt erste Besuche des Schweizer Freundes in Erfurt, die ab 1990 in umgekehrter Richtung regelmässig erwidert wurden. Dabei stand Günter auch immer wieder im Kontakt mit Paul-Heinrich Stettler und anderen Schweizer Terrarianern und Herpetologen der Zeit. Es mag verrückt anmuten, aber tatsächlich fussen verschiedene Freundschaften auch unter Schweizer Herpetologen auf der gemeinsamen Bekanntschaft mit Günter Praedicow, der über den Eisernen Vorhang hinweg die nötigen Fäden spann. So lernte Andreas Meyer letztlich Hans Triet, mit dem auch ihn eine lange Freundschaft verband, über den gemeinsamen Kontakt zu Günter Praedicow in den 1980er-Jahren kennen. Es mag Ironie des Schicksals sein, dass Hans Triet völlig unerwartet und viel zu jung am 8. August 2018 durch einen Herzstillstand aus dem Leben gerissen wurde, vier Wochen vor Günter Praedicows Tod.

Günter Praedicow mit Fritz-Jürgen Obst
Günter Praedicow mit seinem langjährigen Freund Fritz-Jürgen Obst am Bodensee, Jahr ??. (Foto: Uwe Prokoph)

Günters unkomplizierte, gesellige Art und seine Kommunikations- und Kontaktfreudigkeit bescherten ihm ein weit verzweigtes Netz an Bekanntschaften, das er gewissenhaft pflegte. Nach der Wende und der damit einhergehenden Reisefreiheit nutzte Günter dieses Netzwerk und unternahm zahlreiche Reisen: USA, Mexiko, Honduras, Argentinien, Peru, die Dominikanische Republik, Tunesien, Sri Lanka, aber auch zahlreiche Länder in Europa. Seine leidenschaftliche Freude am Reisen führte ihn bereits zu DDR-Zeiten in die Sowjetunion, und viele seiner Reisen ins sozialistische Südosteuropa gelten bis heute als legendär. Seine letzte Überseereise unternahm er 2006 zusammen mit Schweizer Freunden nach Namibia. Bereits ab 2007 fühlte er sich gesundheitlich nicht mehr stabil genug, um längere Reisen zu bewältigen. Vor allem in Begleitung von Hans Triet unternahm er aber noch kleinere Ausflüge mit dem Verein der Erfurter Zooparkfreunde. 

„Dos Mannl sah iech tratn“, war ein häufiger Spruch von Günter, der bei unseren Zusammentreffen oder auch auf gemeinsamen Exkursionen immer wieder zu hören war. Es bedeutete so viel wie: Das sehe ich kommen (Das Männel seh ich treten). Er sprach diese sächsische Mundart-Redewendung mit einem Augenzwinkern, ein Hinweis auf Günters erzgebirgische Herkunft. Ein gesunder Stolz auf seine Heimat war Günter durchaus eigen. Auch kulinarisch schlug bei Günter ein gewisser Lokalpatriotismus durch: Thüringische Wurstwaren waren im heilig und immer in ausreichender Menge (und weit darüber hinaus) fester Bestandteil des Reiseproviants, sofern die veterinärmedizinischen Einfuhrbestimmungen der Zielländer das halbwegs zuliessen. Thüringer Rostbratwürste waren denn auch stets ein durchaus gern gesehenes Gastgeschenk anlässlich seiner regelmässigen Besuche in der Schweiz; ob er damit seinen Gastgebern einfach eine Freude machen oder aber auf elegante Weise vermeiden wollte, Schweizer Bratwürste essen zu müssen, bleibt Günters Geheimnis. So weltoffen Günter gegenüber Menschen war, so kritisch konnte er fremden kulinarischen Gepflogenheiten gegenüberstehen: Ein kräftiger italienischer Espresso wurde kurz und bündig mit dem Begriff «Finkennäppel» abgetan und als schlicht untrinkbar deklariert, während manch herrlich duftender Rotwein mit zwei, drei gehäuften Teelöffeln Zucker erst geniessbar gemacht werden musste. Die Welt hat es ihm grosszügig verziehen.   

mit Paul-Heinrich Stettler
Beim Fachsimpeln mit Paul-Heinrich Stettler in Bern, anlässlich dessen 85. Geburtstages im Jahr 2007. (Foto: Uwe Prokoph)

Günter Praedicow war ein äusserst humorvoller, witziger Mensch, und sein lebensfrohes, mitreissendes und meist durchaus auch lautstarkes Lachen, das sogar das kalifornische Death Valley zum Leben erwecken konnte, wird allen in bester Erinnerung sein, die ihn näher gekannt haben. Vielen blieb wahrscheinlich lange verborgen, dass dieses quicklebendige Naturell von Günter im krassen Gegensatz stand zu den schweren depressiven Verstimmungen, die sein Leben vor allem in den letzten Jahren entscheidend und auf sehr traurige Weise geprägt haben. Die Schübe dieser Erkrankung, verbunden mit langen Klinikaufenthalten, wurden zunehmend häufiger, und Günter zog sich mehr und mehr zurück, war nicht mehr in der Lage zu reisen und körperliche Anstrengungen einigermaßen zu bewältigen, was allerdings auch auf eine Erkrankung der Lunge zurückzuführen war.

Es war für Günters Freunde eine sehr bittere Erfahrung, als sie von seiner Lebenspartnerin gebeten werden mussten, die verbliebenen Terrarientiere, seine geliebten Pfleglinge abzuholen und gut unterzubringen. Günter Praedicow war in dieser Zeit nur noch ein Schatten seiner selbst. Jegliche Motivationsversuche scheiterten, und seine Interessen waren wie seine Unternehmungslust den vielen depressiven Phasen zum Opfer gefallen. Seine letzten Tiere, drei Baumhöhlenlaubfrösche (Trachycephalus resinifictrix) und zwei Colorado-Kröten (Incilius alvarius) bereichern nun den Tierbestand im Dresdner Jugend-Öko-Haus, einer Einrichtung, der Günter immer sehr verbunden war. Im Sächsischen Museum der Westlausitz und in den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Görlitz, haben diese Tiere unlängst in der Ausstellung „Amphibios-vom Wunder der Verwandlung“ viele kleine und große Besucher begeistert. Ganz im Sinne unseres unvergessenen Freundes.

Günter Praedicow ist am 9. September 2018 im Alter von 78 Jahren zuhause in Erfurt friedlich eingeschlafen.

Günter Praedicows Grabplatte auf dem Erfurter Waldfriedhof im Oktober 2018. (Foto: Uwe Prokoph)

Lieber Günter, du warst nicht nur eine grosse Bereicherung in unseren Leben, du hast sie ganz wesentlich mitgeprägt. Du lebst nicht nur in unserer Erinnerung, sondern auch in unseren Herzen weiter.


Text: Andreas Meyer, Uwe Prokoph, Ulrich Scheidt & Rudi Toll

Bibliographie

Praedicow, G. (1988): Langjährige Erfahrungen bei der Pflege von Cuora amboinensis (Daudin). – herpetofauna 7 (37): 6-14.

Czernay, S.  & Praedicow, G. (1988): Haltung und Zucht der Spornschildkröte (Testudo [Geochelone] sulcata) im Thüringer Zoopark Erfurt. – Der Zoologische Garten N.F. 58: 281-305.

Praedicow, G. (1993): Terrapene ornata (Agassiz). – Sauria Suppl. 15 (1-4): 269-272.

Scheidt, U. & Praedicow, G. (2006):  Johann Matthäus Bechstein (1757 – 1822) und die Anfänge der Terrarienkunde. – Sekretär 6: 30-44. Wir danken Christina Praedicow, Erfurt, für ihre Mithilfe beim Verfassen dieses Nachrufs.